Vereinsgeschichte

Gebhard Betz schrieb an Dirk Sager

 

Im Alter von 24 Jahren wurde Gebhard Betz (*1925 †2006) im Jahr 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen.

40 Jahre lang hatte er über seine Erlebnisse in Russland geschwiegen. Dann erzählte er von den russischen Menschen, die ihm und seinen Kameraden geholfen haben, zu überleben. 

1999 machte er sich dann auf die Suche nach einer Dolmetscherin, 

die ihn während seines Schlußverhörs in Jaroslawl durch ihre eigenständige Übersetzung vor Sibirien bewahrte. 

Er schrieb an Dirk Sager (ZDF Korrespondent in Rußland) und bat um Hilfe bei der Suche nach dieser Frau (Wortlaut des Briefes weiter unten). 

Dirk Sager brachte mehrere Artikel über die Geschichte von Gebhard Betz in den Zeitungen im Gebiet von Jaroslawl. Er wollte der Frau stellvertretend danken und um Versöhnung bitten. 

Gebhard Betz hat die Dolmetscherin bis zu seinem Tod 2006 nicht gefunden, aber es meldeten sich Menschen aus Tutajev, einer Nachbarstadt. Es entwickelte sich im Laufe der Jahre eine Freundschaft, die bis heute anhält. 

Das Waisenhaus in Malachowa

 

Die Geschichte des Kinderheims ist ein beeindruckendes Beispiel von schicksalhafter Begebenheit. Erbaut während des spanischen Bürgerkrieges, in den 30er Jahren bot Russland den kommunistischen Familien in Spanien an, ihre Kinder nach Russland in Sicherheit zu bringen. Einige Kinder aus Spanien mit ihren Betreuern wohnten tatsächlich hier. Dann, Jahre später, wurden während der Belagerung von St. Petersburg (damals Leningrad) durch die Deutschen, russische  Kinder aus der Stadt dorthin gebracht. Dieses Heim sah schon viel Leid. 

Bei Besuchen in Tutajev (ca. 300 km östl. von Moskau) lernten wir auch Menschen und Waisenkinder kennen, die unter sehr schlechten Bedingungen lebten. Hygiene, ärztliche Versorgung und Grundausstattungen des Lebens, wie wir sie kennen, waren nicht vorhanden.

Der Verein wurde 2000 gegründet und hat mittlerweile 50 Mitglieder. Alle Spenden kommen zu 100% den von uns unterstützten Projekten zugute.

 

1998 lernten wir den Rektor eines Kinderheims aus Malachowa, Anatoli Woronin, kennen. 

Damals kurz vor dem Winter war die Heizungsanlage defekt, und er war verzweifelt, da er nicht wusste, wie er das Kinderheim im folgenden Winter warm bekommen sollte.

Durch eine spontane Sammelaktion konnten wir ihm helfen und die Heizung wurde repariert. 

Da alle Gebäude in einem schlechten Zustand sind, gründeten wir unseren Förderverein, um die Hilfsaktion ausweiten zu können." 

Brief an Dirk Sager, etliche Jahre ZDF-Korrespondent in Moskau

 

Waldstetten, 20. Jan. 1995

 

Sehr geehrter Herr Dirk Sager, 

Sie sind mir über Ihre Berichte im Fernsehen bekannt. Ich halte Ihre Berichte für sehr objektiv. Diese Tatsache schenkt mir das Vertrauen, mich mit einem bestimmten Wunsch an Sie zu wenden. 

Ich hätte gerne erfahren, ob eine bestimmte Dolmetscherin noch am Leben ist und ob ich mich nach 50 Jahren noch bei ihr bedanken kann. 

Zunächst zu meiner Person:

Ich heiße Gebhard Betz und wohne in Waldstetten und bin am 18.11.1925 geboren. 

Am 27.8.1944 bin ich in Rumänien, in der Nähe von Buzau in russische Gefangenschaft geraten. Meine Kameraden und ich wurden von den Russennach Cheropowitz (östlich von Leningrad) gebracht. 

Über dem Lagertor hing ein Transparent mit der Aufschrift: „Wer mit dem Schwert zu uns kommt, wird durch das Schwert umkommen, wer als Gast zu uns kommt, wird als Gast behandelt werden (A. Newsky)“.

Nach kurzem Lagerleben ging es auf der transsibirischen Strecke weiter nach Goloschi, etwa 5 km von Scharia entfernt. In diesem Lager war ich bis etwa Frühjahr 1946. Danach wurden wir nach Petrowsk verlegt (ca. 100 km nördlich von Moskau). Von diesem Lager aus habe ich zum ersten Mal nach Hause geschrieben (207.1949, Lager Nr. 276/9 bzw. 7276/9). 

Von Petrows aus wurden wir nach Jaroslawl verlegt (7276/4). Im Juni 1949 ging es nach Hause. 

 

Zur erlebten Geschichte:

Im Frühjahr 1949 wurde ich mehrmals von der NKWD verhört. Sie versuchten sich über meine Person ein Bild zu machen. Wie ich von ihnen erfahren habe, sollte ich mit anderen Kriegsgefangenen zusammen, an die Lomonossow-UNI nach Moskau verlegt werden. Dort sollten wir ein Studium aufnehmen. Wir sollten darauf vorbereitet werden, den Kader für den Aufbau in der Ostzone zu bilden. Das Ziel war, ganz Deutschland unter die sowjetische Herrschaft zu bringen. Dies habe ich jedoch abgelehnt. Die Polit-Offiziere drohten mir daraufhin mit Sibirien, wenn ich nicht einwilligen sollte. Ich konnte und wollte diese „Aufgabe“ aus innerer Überzeugung heraus nicht übernehmen. 

Mir wurde in der wohl entscheidenden Sitzung klar gemacht, dass ich ein Bauernsohn wäre (dies stimmt), dass die Bauern doch unterdrückt würden, dass ich doch als Bauernsohn nicht die Möglichkeit gehabt hätte eine höhere Schulbildung zu erhalten, und dass die SU mir die Möglichkeit bietet, dies nachzuholen. Dem habe ich widersprochen. 

 

Der gesamte Dialog wurde über eine Dolmetscherin geführt. Die Dolmetscherin war etwa so alt wie ich, damals etwa 23 Jahre. In dieser Schlussphase des Verhörs sagte diese Frau zu mir, dass ich in die Verbannung abgeschoben würde, wenn ich so weiter argumentiere. Sie wollte aber versuchen, meine Aussage so wiederzugeben, dass mir Sibirien erspart bliebe und ich in naher Zukunft doch noch nach Hause fahren könne. Was sie den Polit-Offizieren gesagt hat, habe ich nie erfahren. Ich kam mit dem übernächsten Transport in die Heimat. 

 

Meine Frage: Ist es möglich, auf Grund der (wenigen) Angaben diese Frau zu finden? Sie könnte noch in Jaroslawl wohnen. Sie ist ungefähr so alt wie ich, heute 70 Jahre, war Dolmetscherin im Lager 7276/4 in Jaroslawl. 

Ich möchte mich heute noch gerne bei ihr bedanken. 

Es gibt noch mehr Russen und Russinnen, die mir in dieser Zeit geholfen haben zu überleben. 

Im Lager Goloschi zum Beispiel, habe ich einen Sergeanten kennen gelernt. Er war etwas älter als ich. Dieser Mann nahm mich einmal mit nach Hause zu seinen Eltern. Ich sollte bei der Heuernte helfen. Allein durch dieses Verhalten, dass er mir das Gefühl gab noch Mensch zu sein und gebraucht zu werden, hat er mir eine unschätzbare moralische Hilfe zum Durchhalten gegeben. 

In diesem Lager sind sehr viele durch Unterernährung und psychischen Stress umgekommen. 

 

Ich war zweimal eingeteilt, tote Kameraden zu begraben. Sie wurden mit einem Panjewagen, gezogen von einem Gaul, beladen mit 10 bis 15 Toten, nackt übereinander geschichtet, unweit vom Lager in den Wald – im Winter bei -30 Grad bis -40 Grad – gefahren. Ein richtiges Grab konnten wir, da wir viel zu schwach waren, nicht schaufeln. Wir legten sie nur tief in den Schnee und deckten sie mit Schnee wieder zu. 

Was mit den Toten nach der Schneeschmelze geschehen ist, weiß ich nicht. Ob es dort heute wohl einen Friedhof gibt?

Ich weiß nur, dass über den „Bestand“ der Kriegsgefangenen sehr genau Buch geführt wurde. Die „Buchführung“ wurde von deutschen Gefangenen geschrieben und von den Russen überwacht. 

Mich würde es freuen, wenn Sie mir einen Hinweis geben könnten, wie ich mich wenigstens bei einer der Personen bedanken könnte. 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Gebhard Betz